Samstag, 29. Dezember 2018

Der Abschied

Seit der Geburt von Mia sind wir mit dem Thema Abschied konfrontiert, manchmal war es intensiver und allgegenwärtig, manchmal undenkbar und zum Glück unheimlich weit weg.

Seit Oktober war Mias Zeit leider geprägt von verschiedenen Infekten und Krankheiten. Sie erholte sich dann Ende November nur sehr schwer von einem weiteren Infekt und trotz Antibiotika fieberte sie nachts immer wieder sehr. Sie nahm fast ein ganzes Kilo ab und man merkte, dass ihr Körper nicht mehr stark und kräftig war. Dies war der Ausschlag für uns Eltern die Situation neu einzuordnen und wir waren uns nach einigen Gesprächen einig, wir wollen Mia nicht mit Medis wieder "aufpeppeln", nur um auf den nächsten Infekt zu warten der sie nochmals schwächen würde. 

So sassen wir anfangs Dezember mit Frau Eva Bergsträsser zusammen und schilderten ihr unseren Wunsch Mia ab sofort nur noch begleiten zu wollen. Dies bedeutet, ihr keine Medikamente und Antibiotika mehr zu geben, aber sicherzustellen, dass sie keine Schmerzen oder Angst verspüren muss. Dieses Gespräch war sehr emotional und machte uns aber auch klar was der Entscheid mit sich bringt. Wir wollten immer alles für Mia machen, aber sie auch unbedingt beschützen, beschützen vor weiteren Schmerzen die wir auch nie hundertprozentig richtig deuten und beheben könnten. Dieses Gespräch, diese Entscheidung war für uns wie der erste Schritt vom Abschiedsprozess.

Der Dezember war gesundheitlich für Mia ein auf und ab, doch das Fieber wollte nie wirklich weg. So bekam sie gegen das Unwohlsein immer öfter Morphin, dass wir in Absprache mit Frau Bergsträsser verabreichten. Zu sehen, dass ihr dies Hilft war nur ein kleiner Trost und doch bin ich sicher, dass wir mit der Entscheidung (so hart sie auch sein mag) den richtigen Weg für Mia und uns als Familie eingeschlagen hatten. 
Mia durfte am 18. Dezember noch im Vivala mit ihrer Wohngruppe Weihnachten feiern und gegen Abend wurde sie sogar ein wenig fit und konnte den Anlass mit all den lieben Menschen geniessen, was uns unheimliche Freude bereitete. Die Nächte und Tage waren da aber schon sehr unterschiedlich und geprägt von vielen Schlafphasen, aber auch von vielen Wachphasen in der Nacht.

Am Donnerstagmorgen, als wir unterwegs waren mit Yves in den Säntispark, erhielten wir einen Anruf vom Vivala, sie hätten ein komisches Gefühl, es könnte sein, dass sich Mia auf den Weg mache. Also machten wir kurz vor dem Säntispark rechtsumkehrt und mussten Yves erklären, dass wir unseren Badeplausch (es wäre der erste von uns Eltern mit Yves zusammen gewesen und ich hatte extra freigenommen dafür) verschieben mussten. Klar verstand er das nicht und fing an zu weinen, aber mit der Option zu  Gromi und Gropi gehen zu dürfen, war diese Krise zum Glück bald überwunden. Doch die Fahrt zuerst nach Hause und dann nach Weinfelden war unglaublich schwer für uns, mir liefen unzählige Tränen runter und ich wusste nicht was uns vor Ort erwartete. Als wir ankamen wurden wir herzlich empfangen und viele Tränen liefen bereits wieder... Mia lag in ihrem Bett, eine Kerze brennte und im Hintergrund lief wunderschöne Musik. Als ich Mia sah, dachte ich es könnte wirklich soweit sein und sie verlässt uns. Mein Mann und ich legten uns zu Mia hin und liessen unseren Gefühlen freien Lauf. Mia atmete nur noch ganz flach, fast unhörbar. Die ganze Stimmung war so unendlich traurig. Nach einiger Zeit wurde Mia ein wenig unruhig und wir entschieden uns dafür, sie nach Hause zu nehmen um sie dort weiter zu begleiten. Im Vivala waren kurz bevor wir eintrafen noch alle Personen bei Mia um "tschüss" zu sagen und mit so viel Dankbarkeit verabschiedeten wir uns bei allen und fuhren mit ihr nach Hause. Yves durfte bei den Grosseltern bleiben über Nacht, darüber waren wir sehr froh, wollten wir auch nicht, dass er von der Situation überfordert wird.

Sie zu Hause begleiten zu können war immer unser Wunsch, doch wie schwer das dies für uns werden wird, war mir dazumal nicht wirklich bewusst. Denn die letzten Tage waren wirklich sehr intensiv, erschreckend, belastend und aber notwendig um von Mia Abschied zu nehmen, dass weiss ich jetzt. Glücklicherweise konnten die nächsten Tage auch alle Familienmitglieder und die nächsten Bezugspersonen noch bei uns vorbei kommen und sich bei Mia zu verabschieden. Jeder dieser Abschiede war für uns sehr tröstlich, aber auch emotional sehr streng, viele Tränen wurden vergossen, viele Küsse und Umarmungen verteilt. Mia war bis Samstagabend noch ab und an wach, doch am Sonntag schlief sie wirklich fast die ganze Zeit, dies auch weil wir die Morphindosis nochmals erhöhen mussten, damit sie nicht in eine unruhige Phase verfiel. 

Am Sonntagabend dann, wurde Mia nochmals sehr unruhig und wir hatten die Medi-Menge bereits schon gegeben, so erkundigte ich mich nochmals bei Frau Bergsträsser was wir tun könnten. Mit ihr waren wir wirklich die ganze Zeit in Kontakt, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit konnte wir uns bei ihr melden, nur dank ihr konnten wir mehr oder weniger ruhig mit der ganzen Situation so umgehen wir wir es uns wünschten. Die Menge wurde nochmals bedeutend erhöht und damit auch die Möglichkeit, dass Mia für immer einschlafen könnte. Vor der Abgabe machten wir es uns mit Mia nochmals gemütlich auf dem Sofa und machten das Licht aus, liessen Musik laufen und warteten dann ab was die Medis bewirken werden. Es war ein weiterer Moment, bei dem wir uns von unserer geliebten Tochter verabschiedeten, mit Küssen und Worten, was wir ihr alles wünschen, dass wir sie über alles lieben und sie immer in unseren Herzen haben werden. Wir hielten uns, wir weinten, wir lauschten der Musik und vor allem lauschten wir Mias Atem, der doch ab und an kurz aussetzte aber ihr Körper schien immer noch in einer Unruhe zu sein. Nach einer Stunde hatte sich nicht viel verändert und da platzte mir der Kragen, ich hielt es einfach nicht mehr aus unsere Tochter so sehen zu müssen, ihr nicht die Erlösung schenken zu dürfen, dass sie nicht mehr weiter kämpfen muss. Ich weinte bitterlich und meinte zu meine Mann, ich kann einfach nicht mehr, meine Kraft reicht nicht mehr aus für das ganze. Er nahm mich ganz fest in den Arm und drückte mich an sich, nur schwer konnte ich mich beruhigen. Nach einiger Zeit wurde Mia dann ruhiger und wir versuchten ebenfalls irgendwie ein wenig Schlaf zu finden. Ich blieb bei Mia auf dem Sofa, damit ich sie sicher hörte und gleich reagieren konnte, wenn sie wieder unruhig wird. 
Zu allem war Yves auch noch ziemlich erkältet und hielt uns in den Nächten die er zu Hause war mit seinem Husten und dem Weinen ebenfalls zusätzlich auf Trab. 

Am 24. Dezember durfte Yves vor dem Mittag wieder zu seinen Grosseltern. Wir waren nicht unfroh, dass er Feuer und Flamme war zu Gromi und Gropi gehen zu dürfen, so konnten wir am Nachmittag auch noch ein wenig ausspannen. Wir hatten entschieden, dass wir die Weihnachten aufteilen, ich gehe zum Nachtessen und Yves kommt mit den Grosseltern dort hin und mein Mann wird anschliessend an die Bescherung gehen. So war immer jemand bei Mia und Yves konnte trotzdem "normal" Weihnachten feiern in der Grünegg und kam dann glücklich, aber auch Müde mit meinem Mann nach Hause. 

Doch in der Nacht auf den 25igsten wurde ich von Mias wimmern geweckt. Ich stand regelrecht im Bett, da sie solche Laute doch schon länger nicht mehr gemacht hatte und nach der Medi-Abgabe merkte ich, dass es irgendwie nicht reicht um Mia wieder in eine ruhige Phase zu bringen. So rief ich morgens früh Frau Bergsträsser an und wir erhöhten die Dosis der Medis noch einmal. Doch die gewünschte Entspannung trat nicht wirklich ein, so meldeten wir uns noch bei Michi Lang mit der Bitte die Situation aus einem ärztlichen Aspekt zu beurteilen. Im Laufe des Tages schaute er bei uns rein und obwohl Mia zu diesem Zeitpunkt ruhig war und schlief, schilderten wir ihm die Situation und das die Medikation nicht mehr 4 Std. anhielt sondern nur noch 2 Std. und wir einigten uns darauf, dass wir die Medis in kürzeren Abständen und in der Nacht ebenfalls geben werden, auch wenn das bedeutete, dafür einen Wecker stellen zu müssen. Doch vorher feierten wir noch bei uns Weihnachten mit Mias Götti und meiner Mutter und ihrem Freund. Es war ein wunderschöner Abend und Mia schlief die ganze Zeit ruhig und entspannt in ihrem Zimmer, immer wieder schaute ich kurz nach ihr um mich zu versichern, dass sie entspannt und ruhig ist. Den Abend konnten wir trotz allem geniessen und ich bin so froh, dass wir dies wie geplant machen konnten.
Durch die regelmässige Medi-Abgabe blieb Mia länger ruhig und doch merkten wir, dass die Zeitabstände kürzer wurden. 

Am 26igsten am Morgen durfte Yves nochmals zu den Grosseltern und über das gute Timing und die unbezahlbare Unterstützung sind wir unendlich dankbar. Denn im Laufe des Tages merkten wir, dass Mia blutete. Zuerst dachte ich, es wäre am Sondeneingang (am Bauch selbst) bis ich merkte, dass das Blut aus dem Bauch von Mia kam. Ich erschrak unheimlich und rief sofort Michi Lang an um dies zu schildern, er versuchte mich zu beruhigen, dass dies durch die Medis sein kann. Er sprach sich mit Frau Bergsträsser ab, welche ich ebenfalls informiert hatte und zusammen kamen sie darauf, dass es sein könnte, dass der Magen evtl. die Medikamente nicht mehr so gut aufnehmen kann und deshalb die Phasen der Unruhe schneller auftreten. Ein Zugang um das Mophin zu spritzen, könnte das Problem beheben. Im ersten Moment wehrten wir uns gegen diese Idee, doch nach einigem hin und her kam Michi Lang vorbei um den Zugang zu legen und instruierte uns wie wir Mia so die Medikation geben können. Er versuchte uns auch nochmals zu versichern, dass Mia keine Schmerzen und Ängste mehr habe, auch wenn sie in eine gewisse Unruhe verfalle die uns als Eltern vielleicht Angst mache. Das sei aber der Körper und nicht Mia, die Schmerzen habe. 

Die Situation verbesserte sich wieder für Mia und auch für uns, doch frühmorgens am 27igsten musste mein Mann um vier Uhr wieder zu Mia da sie anfing zu stöhnen und wieder unruhig wurde. Eine Stunde später stand ich auf, da ich Mia auch die ganze Zeit hörte und wollte meinen Mann ablösen. Ich gab Mia nochmals etwas zur Beruhigung und nahm sie anschliessend zu mir und spürte ihren Körper auf meinem. Ihr Atem war ziemlich schnell und immer wieder rang sie fest nach Luft, an diese Atmung hatte ich mich mehr oder weniger schon ein wenig gewöhnt, da sie dies schon einige Male so auftrat. Doch nach einer Zeit bemerkte ich, dass es immer weniger wurde und nach zwei leisen, aber sehr schönen, irgendwie erleichterten Seufzern spürte ich wie Mia ging. Ich weinte bitterlich und drückte sie ganz fest an mich... auch wenn ich einige Tage vorher für mich gedacht habe, ich wäre evtl. froh, wenn sie alleine einschlafe ohne das ich dabei bin, bin ich nun froh durfte ich sie in diesem letzten Moment begleiten. Ich weckte meinen Mann und wir legten uns nochmals zu Mia und verabschiedeten uns zum allerletzten Mal von ihr und nach der unglaublichen Anspannung, Belastung und Ungewissheit überkam mich nebst der Trauer eine Erleichterung. Die Erleichterung zu wissen, dass meine Mia nie nie mehr Schmerzen oder Angst verspüren muss. Das unsere Mia nun an einem Ort ist, wo sie alles machen kann. Getragen von diesem positiven Gefühl vermischt mit der Trauer, dass unsere Mia nicht mehr da ist, wollte ich nach draussen, einfach raus. So beteten wir Mia in ihr Bettchen und mein Mann und ich gingen spazieren. Die eiskalte Luft war angenehm, ich atmete ein paar Mal so richtig fest durch und es tat unheimlich gut. Wir spazierten zur Insel Werd und sprachen über unsere Mia, es liefen wieder Tränen runter, aber wir konnten auch schon wieder über lustige Sachen lachen. Wir standen auf der Holzbrücke zum Werdli, umarmten uns und blickten zusammen über den noch dunklen Rhein richtig Stein, ein unglaubliches Gefühl von Zusammenhalt, Liebe und Geborgenheit überkam mich.

Mir ist klar, dass dieser Eintrag doch sehr detailliert und dem ein oder anderen vielleicht zu viel ist. Doch für mich ist es wichtig, dass erlebte so niederzuschreiben und ich kann dadurch vielleicht auch für aussenstehende bewusst machen, dass unsere Trauerphase schon vor einiger Zeit begonnen hat und der Tod von Mia auch eine Erleichterung mit sich bringt. So muss man auch nicht allzu betrübt sein wenn man uns sieht, muss uns nicht nochmals kondolieren wenn man dies bereits mit einem Brief oder einer Nachricht per Whats gemacht hat. 
Wir sind unendlich dankbar für all die schöne Zeit mit Mia und sehen aber auch die anderen Aspekte die ihre Krankheit mitgebracht haben und uns ist beim spazieren langsam klar geworden, dass sich für uns als Familie und Paar wieder Möglichkeiten auftun die wir bis anhin gar nicht so hatten. Wir hoffen aber das wir durch unsere Mia gelernt haben all das neue, welche für andere Familien vielleicht normal sind, weiterhin zu schätzen wissen und diese auch so geniessen, sei es nur ein Ausflug ins Hallenbad mit Yves.

Liebe Mia,
wir lieben dich über alles, du bist unser kleiner Engel der nun einen Platz an einem schönen Ort hat, mit anderen geliebten Menschen die uns und Freunde von uns, zu früh verlassen haben. Wir werden dich und dein Lachen, dich als Kämpferin und kleiner Frechdachs für ewig in unseren Herzen tragen und uns immer wieder an die vielen wunderschönen Momente mit dir erinnern.
Deine unendlich stolzen Eltern und dein kleiner Bruder Yves


Am 14. Dezember hatten wir kurzfristig noch
ein kleines Fotoshooting als Familie.

Über diese Fotos sind wir unendlich dankbar!




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