Donnerstag, 6. September 2018

REA Nein

Mit der Geburt von Mia mussten wir uns gleichzeitig leider auch mit ihrem frühzeitigen Tod auseinandersetzen. Nach den ersten Tagen wurde uns nahegelegt, dass wir uns Gedanken machen sollen, was wann für Mia gemacht werden soll oder was allenfalls nicht. Zu diesem Zeitpunkt war ich mit dieser direkten Aufforderung völlig überfordert. Ich war wütend und hatte kein Verständnis dafür, dass man uns damit so unvorbereitet konfrontiert. Jedoch genau so ist der Tod - er konfrontiert meistens unvorbereitet und ich spreche hier nicht nur von den Menschen die sterben, sondern auch von den Hinterbliebenen, welche mit diesem Verlust konfrontiert werden.

Seit vier Jahren ist der Tod auch ein wenig in unserem Hinterkopf, wir wissen nicht wann und wie, doch es ist uns bewusst das Mia durch ihre Krankheit eher von uns gehen wird, als sich das Eltern wünschen. Zu unserem Glück durften wir schon vor ein paar Jahren Dr. Eva Bergsträsser kennenlerne (herzlichen Dank liebe Nicole für diesen unendlich wichtigen Tipp damals) und besprachen mit ihr die Situation von Mia und was wir uns für sie wünschen. Und im ersten Palliativen Betreuungsplan wurde notiert: 
Besondere Wünsche von Kind und Familie: Möglichst normalen Alltag mit Mia und als Familie geniessen. 
Und dies hat sich bis heute nicht verändert. In diesem Betreuungsplan stehen im weiteren viele Kontaktpersonen zu den verschieden Bereichen (Stoffwechsel, Ernährung, Kinderarzt, Physio, etc.) sowie aktuelle Probleme (Verschlucken und allfällige Atemnot im Rahmen von Infekten) und der REA Status (Reanimation). Hier kann man bei ja oder nein ein Häckchen setzen und bei Mia haben wir uns für NEIN entschieden. Diese Entscheidung wurde bzw. wird mehrmals jährlich besprochen, ob nur wir als Eltern zu Hause, wenn das Thema mehr im Alltag verankert war als gewünscht oder bei den halbjährlichen Besprechungen im Kinderspital mit den Ärzten. Eine solche Entscheidung treffen zu müssen ist schon in der Theorie nicht einfach und doch ist es so unfassbar wichtig, dass man sich mit diesem Thema so früh als möglich und auch immer wieder auseinandersetzt, weil man einfach nie weiss, wann der Tag X eintrifft und es dann nicht mehr nur ein theoretischer Entscheid ist. Ich muss noch anfügen, dass wir diesen Entscheid gerade bei Spitalaufenthalten jederzeit über den Haufen werfen können in Absprache mit den Ärzten.

Weshalb ich dieses Thema aber überhaupt in dieser Form aufgreife hat mit dem Eintritt von Mia ins Vivala zu tun. Denn ich darf sagen, seit diesem Frühling ist das Thema nämlich wieder sehr in den Hintergrund gerutscht (was es immer macht, wenn es Mia gut geht zum Glück) und doch wollte ich dies beim Eintrittsgespräch von Mia auch festhalten, dass wir uns mit der Palliativen Betreuung im Hintergrund für den „REA Nein“ Status entschieden haben. Nichts ahnend, dass dies ein Thema ist, welches eher an den Vorgaben der Institution festhält als an den Wünschen der Eltern, merkte ich an der Reaktion von einzelnen Personen am grossen Runden Tisch, dass dies eher eine unübliche Aussage war. Auch wurde uns dann erläutert, dass bei einem Notfall immer das 144 gerufen wird, immer. Aber man nehme unsere Aussage gerne zur Kenntnis. Für mich war dies im ersten Moment ein komisches Gefühl und doch war ich froh, kam meine Aussage so spontan. Wir regten dann an, dass wir gerne noch ein weiteres Gespräch inkl. Eva Bergsträsser hätten, um auch zu klären, was es für die Personen bedeutet die mit Mia zu tun haben und auch wir genau wissen was im Notfall passieren würde.

Dieses Gespräch fand vor ein paar Wochen statt, es kamen ca. 12 Personen vom Vivala (eine riesen Personenanzahl, mehr als beim Eintrittsgespräch und da waren schon sehr viele dabei und alle Anwesenden haben in irgendeiner Art mit Mia zu tun), mein Mann und ich sowie Eva Bergsträsser. Die Besprechung startet damit, dass Eva Bergsträsser sich vorstellte und einiges zu ihrer Arbeit erzählte. Dann ging es um Mia ihre Situation und wie man im Notfall reagieren sollte. Auch ich versuchte zu erklären wie es dazu kam, dass wir uns schon früh für den REA Status Nein entschieden haben und dies war für mich doch viel emotionaler als ich gedacht habe. Schon bei den ersten Sätzen liefen mir die Tränen runter und ich musste nach den Worten ringen und einige Male inne halten, was auch anderen Personen am Tisch feuchte Augen bescherte. Für einige betreuunde Personen war nicht ganz klar wie es bei Mia aussehen könnte, ein solcher Notfall, auch weil es Mia seit dem Start im Vivala ausgesprochen gut geht und so dieses Thema eigentlich gar nicht so aktuell bzw. akut erscheint. Ich ergänzte darauf, dass Mia und wir als Familie doch schon einige schwierige Zeiten hinter uns haben und Mia seit ca 2 Monaten in einem super stabilen Zustand ist (was so in dieser Form eigentlich noch nie so lange anhielt) und welchen wir selber unheimlich geniessen, aber trotzdem kann sich so schnell so vieles ändern, dass hat uns die Vergangenheit schon ein paar Mal gezeigt.

In diesem längeren Gespräch gab es verschiedene Aussagen, Fragen und auch Unklarheiten wie man nun mit der Situation von Mia verbleiben soll und erst gegen Schluss wurde Eva Bergsträsser ein paar Mal sehr bestimmend. Denn in der Institution gab es schon Abklärungen über einen TG Anwalt ob die Eltern die Entscheidung REA ja oder nein überhaupt fällen dürften und dieser meinte nein. Diese Aussage schmeckte Frau Bergsträsser ganz und gar nicht, was sie klar zu verstehen gab. Auch als man merkte, dass die Vertreterin der Institution eigentlich noch nicht bereit war unserem Anliegen vollumfänglich entgegen zu kommen (hier ist man in der Institution erst im Umbruch und in Abklärungen), sagte Frau Bergsträsser: "Es muss hier allen klar sein, dass man Mia in keinem Fall mit einer Reanimation einen Gefallen tut, sondern für Mia alles nur verschlechtert". Dieser Satz sass (auch bei uns) und darauf hin konnte man sich in kurzer Zeit einigen, dass für Mia der REA Status Nein gilt und die Behandlungsvereinbarung welche wir erstellt haben, nachgegangen wird. 

Für uns war diese Entscheidung eine riesen Erleichterung und wir danken allen Beteiligten von Herzen für das Verständnis und ihre tolle Art wie sie mit Mia umgehen. Für uns ist es wie ein sechser im Lotto, dass Mia an diesem tollen Ort sein darf mit so vielen lieben Menschen, die unheimlich herzlich und liebenswert mit ihr sind. Wir haben ein riesen Vertrauen in die Betreuerinnen und allen weiteren Bezugspersonen aus allen Bereichen, merci für einfach alles. Denn wir wissen schon nach dieser kurzen Zeit, Mia geniesst es einfach nur dort und kommt immer fröhlich aber auch Müde nach Hause am Freitag.


Hier noch der Auszug aus der Behandlungsvereinbarung:

Medizinische Situation
Diagnose: Pyruvat-Dehydrogenase-Mangel (seltene neurometabolische Erkrankung) mit generalisiserter,  Entwicklungsverzögerung, Schluckstörung (vollständig sondenernährt)

Prognose: Die Erkrankung ist lebenslimitierend und die Prognose ungünstig. Eine Verbesserung der Erkrankung und ihrer Auswirkungen kann nicht erzielt werden. Bzgl. Lebensdauer ist die Prognose ungewiss.

Im Vordergrund stehende Probleme: Ernährungsstörung, Atemprobleme mit dem Risiko einer schweren Atemstörung bei Sekretproblemen, Unruhe

Zu erwartende Probleme: Ateminsuffizienz bei Infekt der Luftwege, Unruhe und Dystonie

Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten
Was kann getan werden? Der Krankheitsverlauf kann nicht beeinflusst werden. Medizinisch soll alles Sinnvolle getan werden. Die Eltern möchten in alle Entscheidungen eng einbezogen werden. Für Mia ist der Kontakt zu Menschen wichtig. Sie hat es gerne, wenn man sie zu sich nimmt und mit ihr spricht.

Medizinische Einschätzung der Chancen und Belastungen/Risiken der Behandlungsoptionen
Risiko der Ateminsuffizienz im Rahmen von Luftwegsinfekten, mit denen Mia aufgrund ihrer Muskelschwäche nicht zurecht kommt. An dieser Ateminsuffizienz kann Mia versterben.

Ziele der Behandlung und Betreuung (aktuelle, mittelfristige und ferne Ziele)
Aktuelles Ziel: Mia ihren Möglichkeiten gemäss fordern ohne sie zu überfordern. Mia soll in einer liebevollen Umgebung sein, auch wenn sie nicht zu Hause ist: Betreuung in Vivala ab August 2018. Im Okt. 2018 Button Wechsel bei defektem PEG-Schlauch.

Mittelfristiges Ziel: Ähnlich wie oben, Für die Eltern ist es nicht wichtig, für Mia Entwicklungsziele zu stecken und diese "formal" zu überprüfen.

Ferne Ziele: Keine fixen Ziele. Wichtig ist, dass es Mia wohl ist. "Weniger ist mehr", was nicht bedeutet, etwas vorzuenthalten.

Welche Behandlung soll eingeleitet werden?
Button Wechsel, sonst wenn möglich, keine Eingriffe (keine Korrektur der Gaumenspalte, keine Augenuntersuchungen, o.ä.).

Was soll nicht gemacht werden?
Nicht zwingend Nötiges oder Überflüssiges soll unterlassen werden.

Wie soll das Kind betreut werden?
Wenn möglich zu Hause, bzw. möglichst wenig Spital. Keine Maschinen (keine Intensivstation).

Was soll nicht passieren?
Mia soll keine Schmerzen haben und möglichst nicht leiden.

Spezifische Wünsche des Kindes und der Familie
Bei der Behandlung ist wichtig: Mia soll es gut gehen. Sie soll möglichst zufrieden sein.

Bei einem Herzkreislaufstillstand sollen alle Wiederbelebungsmassnahmen versucht werden: NEIN

Im Fall einer akuten Verschlechterung werden folgende Massnahmen ergriffen :
im Spital / bei Operation: sinnvolle und mögliche Massnahmen (kurzes Bebeuteln, bei OP ggf.Kreislaufunterstützung) ergreifen, um Mia zu helfen. Wenn diese zum erwünschten Erfolg führen, steht die Leidenslinderung im Vordergrund.
Eine weitere Verschlechterung, bspw. durch Sauerstoffmangel, soll vermieden werden.


Dies sind unsere Wünsche, wenn man dem so sagen kann, denn eigentlich wünscht man sich ja, dass man sich nicht solche Gedanken machen muss. Aber es ist sehr wichtig, dass es geschieht und man darüber auch reden kann. Und das wir jedes Lächeln von Mia geniessen und ihr auch eins schenken.


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